Zukunft

Steckby, ein kleiner Ort im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Umgeben von Feldern und Wäldern, das Biosphärenreservat Lödderitzer Forst ist ganz in der Nähe. Sehr groß ist der Ort nicht, doch in den 1990er-Jahren sorgte er für Schlagzeilen. Denn Steckby gewann 1998 als erstes Dorf in Sachsen-Anhalt die Goldmedaille im bundesweiten Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft".

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Ein Dorf auf dem Weg zum Gold

von Maria Göckeritz

"Das war natürlich ein wahnsinniges Erlebnis. Man kann es gar nicht anders beschreiben. Zur Auszeichnung sind wir mit 138 Leuten in drei Bussen gefahren. Da war Steckby fast ausgestorben, weil alle mitgekommen sind", erzählt Regina Frens, ehrenamtliche Bürgermeisterin der Orte Steutz und Steckby. Sie lacht, mit ihrem wuscheligen Kurzhaarschnitt und ihrer bunten Bluse, wirkt sie wie eine Frau vom Lande und kaum wie eine Bürgermeisterin, die seit 25 Jahren im Amt ist. Ihre flinken Hände blättern durch die Unterlagen: der Wettbewerbsantrag, die Fotos während der Medaillenübergabe oder von der Dankesfeier im Ort. Erinnerungen an die Zeit kurz nach der Wende werden wach. Alles war Neuland damals und ungewiss. Der Umbruch brachte viele Veränderungen mit sich. Arbeitsplätze in der Region waren gefährdet oder gingen verloren. Geschäfte wurden geschlossen. Der Zustand der dörflichen Infrastruktur war schlecht. "Wenn die Steckbyer zum Konsum gehen wollten, mussten sie bei Regen mit Gummistiefeln gehen, weil das so matschig war", erinnert sich Regina Frens. Doch die Zeit nach der Wende bot auch Chancen. Mit dem Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" wurden Impulse geschaffen, solche Missstände zu beheben und die dörfliche Gemeinschaft zu fördern.

Der Wimpel von Steckby. Am Tag der Preisverleihung bejubelten die Steckbyer ihr Dorf. (Foto: Evi Lemberger)

Der Wimpel von Steckby. Am Tag der Preisverleihung bejubelten die Steckbyer ihr Dorf. (Foto: Evi Lemberger)

Mehr als nur Blumen und Girlanden

Der Dorfwettbewerb entstand Anfang der 1960er-Jahre in den alten Bundesländern und hieß damals noch "Unser Dorf soll schöner werden". Vom damaligen Präsidenten der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V., Graf Lennart Bernadotte, initiiert, sollte der Wettbewerb helfen Dörfer zu verschönern und lebenswerter zu machen. Ging es zuerst nur um die schöne Fassade, so kamen mit den Jahren grundlegendere Inhalte hinzu, wie der Sozialgeograf Prof. Dr. Klaus Friedrich von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hinzufügt. Er beschäftigt sich u.a. mit dem demografischen Wandel und der Dorfentwicklung in Deutschland: "Man hat angefangen die Infrastruktur in den Dörfern zu verbessern und das Handwerk zu unterstützen. Und das war auch bitter nötig. Die Dörfer standen einfach nicht mehr im Fokus der Stadtplanung." So verschob sich der Schwerpunkt des Wettbewerbs auf infrastrukturelle und innovative Entwicklungen in den Dörfern und wurde daher in "Unser Dorf hat Zukunft" umbenannt. 1991 wurde er erstmals auch in den neuen Bundesländern durchgeführt.

Nach der Wende

Der erste Anstoß zur Teilnahme kam vom Landkreis. Regina Frens erinnert sich: "1990 rief der Landkreis an und sagte: 'Da gibt es so einen Wettbewerb. Macht doch da mit, Steutz und Steckby, gleich mit allen beiden Dörfern.' Wir wussten noch gar nicht, wie das funktioniert und was das war." Doch das störte die damals frisch im Amt tätige Bürgermeisterin nicht. Sie sei ein spontaner Mensch und Neues interessiere sie schon immer. So beschlossen sie und ihre Kollegen es einfach auszuprobieren und zu sehen, wie weit sie es schaffen. "Zum Schaden konnte das ja nicht sein. So einfach war das." Damit bewarben sich sowohl Steutz als auch Steckby zuerst auf Kreis- und Bezirksebene für den Wettbewerb, beide Dörfer kamen weiter zum Landesausscheid. Dort ging Steckby leer aus, doch Steutz schaffte es bis zum Bundeswettbewerb und erhielt bereits 1993 die Bronzemedaille auf Bundesebene. "Natürlich waren die Steckbyer etwas enttäuscht. Aber ermutigt durch die 800-Jahrfeier 1996, trugen die Einwohner ihren Enthusiasmus gleich weiter in den Dorfwettbewerb zwei Jahre später", erzählt Regina Frens. Und diesmal klappte es: Steckby zog im Mai 1998 in das Finale des Dorfwettbewerbs ein und durfte sich auf Bundesebene beweisen.

Steckbrief

  • Ort: Steckby
  • Gemeinde: Zerbst/ Anhalt
  • Landkreis: Anhalt-Bitterfeld
  • Einwohner 1990: 298
  • Einwohner 1998: 308
  • Einwohner 2012: 906 (Steutz und Steckby zusammen)
  • Fläche: 1.125 ha
  • Dorf und Landschaft: Runddorf an der Elbe, 1196 erstmals urkundlich erwähnt
  • Infrastruktur: Kirche, Friedhof, Dorfhaus, Dorfplatz, Spielplatz, Bolzplatz, 2 Gaststätten, ein Café
  • Kultur und Sehenswürdigkeiten: Kirche im Feldsteinbau, Heimatstube, kleine Galerie, Vogelschutzwarte, 2 Gedenkstätten, Biosphäre, Naturschutzgebiet
  • Regelmäßige Veranstaltungen: Karneval, Osterfeuer, Maifest, Reit-, Fahr- und Voltigierturnier, Straßenfest, Feuerwehrausscheid, Schützenfest, Trachtenpflege, Kinderfest
  • Vereine: Reit- und Fahrverein, Steckbyer Schützengilde, Karnevalsclub "Grün Weiß", Heimat- und Trachtenverein, Jagdgesellschaft, Seniorenkreis, Volkssolidarität, Freiwillige Feuerwehr, Singekreis

Eine Gräfin im Dorf

Nun hieß es punkten, denn das Dorf musste sich präsentieren. Dabei zählte nicht allein das Aussehen, sondern vor allem die dörfliche Gemeinschaft, das Vereinsleben, die Infrastruktur und Bauvorhaben. In Steckby entstanden in der Zeit das Storchencafé und die Heimatstube, der Gemeinschaftsraum für die Gemeinde, die Straßen wurden ausgebaut und extra für den Wettbewerb gründete sich der Singekreis Steckby.

Im September, vier Monate nach dem Landessieg 1997, war der Tag gekommen. Die Kommission des Bundeswettbewerbs mit der Gräfin Sonja Bernadotte als Vorstand traf in einem Reisebus in Steckby ein, um das Dorf zu bewerten. Die dorfeigene Vorbereitungsgruppe hatte den Weg für die Kommission mehrmals abgegangen und die Zeit gestoppt. Innerhalb von zwei Stunden musste sich das Dorf nun von seiner besten Seite zeigen. "Das war nicht viel Zeit, doch zum Glück ist Steckby ein kleiner Ort," Regina Frens schmunzelt. Die Kommission, die Gräfin und die Bürgermeisterin machten sich auf den Weg. Zuerst zur Begrüßung an der Heimatstube, danach der Rundgang durch den Ort, bei dem die Zahl der Seckbyer im Gefolge stetig zunahm. An jeder Station gab es eine Schautafel, die Steckbys Geschichte und die Veränderungen der letzten Jahre zeigten. Zusätzlich gab jeder der zehn Vereine ein kleines Programm. So zeigte der Reit- und Fahrverein seine Voltigiergruppe, vom Karnevalsverein tanzten die Funkenmariechen und der Singekreis trug Lieder der Steckbyerin Erna Joch vor. "Man muss sich schon gut vorbereiten und was bieten", erklärt die Bürgermeisterin.

Jubel in Berlin

Eine Woche nach der Begehung des Dorfes wurde das Ergebnis bekannt gegeben. Regina Frens machte gerade Urlaub in Österreich, hatte aber mit dem Ministerium in Magdeburg abgesprochen, dass sie ab 11 Uhr anrufen und das Ergebnis erfragen könne. "Mein Mann und ich saßen im Hotelzimmer und warteten. Wir wollten ja noch Wandern gehen. Zehn vor Elf hab ich dann einfach angerufen und die Frau vom Ministerium sagte: 'Frau Frens, Sie sind die Erste.' Ich antworte nur: ‚Ja, ich weiß, dass es noch nicht Elf ist. Verzeihung, ich bin zu früh dran.' 'Sie sind die Erste', wiederholte sie, 'Sie haben die Goldmedaille! Ihr Dorf ist das Erste in Sachsen-Anhalt, das die Goldmedaille bekommt." Regina Frens rief gleich darauf in Steckby an und verkündete die frohe Botschaft. Der Jubel war groß und mehrere Tage wurde der Sieg gefeiert - zuerst ohne die Bürgermeisterin, zwei Tage später mit ihr. "Wenn ich heute daran denke, ist es immer noch emotional. Es ist schon eine tolle Sache gewesen. Das war etwas ganz Besonderes." Und ist es bis heute, denn diesen Erfolg konnte noch kein Dorf aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld bisher wiederholen.

Die offizielle Auszeichnung fand schließlich im Januar 1998 während der Grünen Woche auf dem Messegelände in Berlin statt. Die Hälfte des Dorfes kam mit und unter großem Jubel wurde die Medaille an Regina Frens überreicht. "Ich wurde dann noch gebeten, vor den 3.000 Leuten im Namen der teilnehmenden Dörfer über die Eindrücke während des Wettbewerbs zu sprechen. Das war auch sehr aufregend."

Straßen wurden gebaut

Doch das Engagement von Regina Frens und ihren Helfern zahlte sich aus. Ein Beispiel: Nach der Wende war der öffentliche Raum war wenig saniert. Allein die Hauptstraße war gepflastert und das auch nur bis zur Hälfte. Die Bürgermeisterin bemühte sich früh um Förderungen vom Land. Das Geld vom Landeswettbewerb, damals 100.000 D-Mark im Rahmen der Dorferneuerungsmittel, konnte daher gut genutzt werden. "Wir haben viele Förderungen bekommen, über die Dorferneuerung, aber auch andere Straßenbaumaßnahmen, und konnten so in den Neunzigern im ganzen Ort Steckby die Straßen ausbauen mit allen Leitungen, die dazugehören: Wasser-, Strom- und Entsorgungsleitungen."

Interview "Dicht machen können und wollen wir die Dörfer nicht"

Prof. Dr. Klaus Friedrich ist Professor für Sozialgeografie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er beschäftigt sich mit Migration in Deutschland und gehört zu einer Gruppe von Experten, die das Aussterben von Dörfern verhindern wollen. Deswegen steht auch für ihn fest: "Dicht machen, können und wollen wir die Dörfer nicht." In einem Interview gibt er eine Einschätzung zu Migration, Dorfentwicklung und Dorferneuerung.

Wie sah die Migration im Deutschland der Neunziger aus?

Ganz klar gab es in den 1990er-Jahren eine innerdeutsche Migration von den neuen Bundeländern in die alten. Gerade die jüngere Bevölkerungsschicht ging in den Westen und so bluteten gerade die Dörfer der ehemaligen DDR regelrecht aus. Es blieben nur die Älteren und sehr Jungen.

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Prof. Dr. Klaus Friedrich

Prof. Dr. Klaus Friedrich

Zu DDR-Zeiten seien diese ganzen Renovierungsarbeiten nicht so einfach möglich gewesen. "Es wurde in die LPGs (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) und Betriebe investiert und weniger in dörfliche Strukturen" meint Prof. Dr. Klaus Friedrich, der sich speziell mit der dörflichen Entwicklung in Deutschland beschäftigt hat. "Als Arbeiter- und Bauernstaat floss das Geld für Baumaßnahmen vor allem in die Agrarbetriebe." Dieser Fokus verschob sich in den Neunziger Jahren. Mit den nun bereitgestellten Förderungsmöglichkeiten konnten solche Projekte wie die in Steckby durchgeführt werden. Prof. Dr. Klaus Friedrich fügt hinzu: "Damit solche Projekte funktionieren, braucht es das Engagement der Bewohner oder einer führenden Person." Wie die Bürgermeisterin von Steutz und Steckby.

Bronze, Gold und Silber

Regina Frens ist geborene Steutzerin. Sie kommt aus der Gegend und hat schon immer mit angepackt, zuerst in der Landwirtschaft, dann in der Buchhaltung der örtlichen LPG und schließlich als Organisatorin für den Produktionsbereich. Stetig bildete sie sich weiter und holte das Beste aus ihrem Beruf heraus. Dann kam die Wende und die LPGs wurden geschlossen. "Ich hatte keine Zukunft. Und als ich dann vom Gemeinderat zur Bürgermeisterin gewählt wurde, habe ich den Posten gerne angenommen." Regina Frens zuckt mit Schultern. Organisieren könne sie schon immer gut. Sie ist sehr praktisch denkende Frau, sie nimmt die Dörfer und ihre Bewohner ernst und sucht nach umsetzbaren Lösungen.

Regina Frens (Foto: Evi Lemberger)

Regina Frens (Foto: Evi Lemberger)

Nach dem Bundeswettbewerb nahmen die Steckbyer am Europäischen Dorferneuerungspreis teil. "Irgendwo in der Mitte lagen wir" Regina Frens überlegt und betont: "Danach war dann erst einmal Pause". Erst im vergangenen Jahr wollte es die Ortsbürgermeisterin noch einmal wissen. Mit Steutz nahm sie erneut bei "Unser Dorf hat Zukunft" teil und errang die Silbermedaille. "Mein Gedanke war dabei: Wenn wir Silber bekommen, dann haben wir alle drei: Bronze, Silber und Gold", lacht sie.

Und irgendwie kann sie auch nicht aufhören: Selbst mit fast 69 Jahren und 25 Jahren als Bürgermeisterin im Amt hat Regina Frens noch neue Ideen und Wünsche für die Zukunft ihrer Dörfer.

Steckby heute

In den 1990er Jahren entstanden, gibt das Gedicht von der ortsansässigen Karin Brüning die Stimmung in dieser Zeit wieder:

"Du kleines Dorf am Elbestrand, in der Nähe und Ferne wohlbekannt. Ringsum Felder, Wiesen, Wald – zum Schauen macht man gern mal halt. […] Heimatstube, Spielplatz, Wartehäuschen, Grünflächen sind neu zu sehen, wir helfen mit, es wird sicher noch mehr entstehen. Doch der Worte sind nun genug gesagt, unsere Parole ist: Gewinnen kann nur, wer auch was wagt!"

Fünf Fragen

Was ist das Besondere an Steckby? Die Bürgermeisterin Regina Frens, der Planer des Ortes Boris Krmela und die sehr engagierte gebürtige Steckbyerin Doris Wecke geben Antworten zu ihrem Dorf, dem Wettbewerb und die Zukunft. Jeder bekam die gleichen Fragen gestellt, doch die Antworten sind unterschiedlich.

Regina Frens

Boris Krmela

Doris Wecke

(Infografik: Luise Kotulla)

Ein "Wessi" im Osten

Michael Voß ist 26, als er 1991 nach Sachsen-Anhalt zieht – von Hamburg nach Magdeburg, um den Mitteldeutschen Rundfunk mit aufzubauen. Woran er sich im Osten erst gewöhnen musste und was er schätzen lernte, erzählt der Journalist, der bis heute beim MDR arbeitet, im Video.

(Video: Luise Kotulla)

Buschzulage

Die sogenannte "Buschzulage" bzw. "Buschprämie" wurde jahrelang an alle westdeutschen Beamten gezahlt, die vorübergehend als Verwaltungs- oder Aufbauhelfer in den neuen Bundesländern arbeiteten. So erhielten sie beispielsweise im Jahr 1990, je nach Besoldungsgruppe, monatlich zwischen 1.500 und 2.500 D-Mark - steuerfrei und zusätzlich zu ihrem Gehalt. Die Aufwandsentschädigung gab es "wegen der mit dem Aufenthalt im Beitrittsgebiet verbundenen besonderen Aufwendungen". Problematisch waren die Zahlungen, da Westdeutsche für gleiche Arbeit bedeutend mehr Gehalt bekamen als ihre ostdeutschen Kollegen. Zudem wertete die gängige Bezeichnung "Buschzulage" die ehemalige DDR ab. Der Begriff wurde ursprünglich zur Kolonialzeit verwendet, als kaiserliche Beamte eine Zulage bekamen, wenn sie in die Kolonien nach Afrika, also in den "Busch", entsandt wurden. In Sachsen-Anhalt wurde die Aufwandsentschädigung Anfang 1995 abgeschafft. Mehr Informationen zur Wortherkunft: www.gfds.de/buschpraemie
(Infobox: Luise Kotulla)

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